Lehrermangel in Baden-Württemberg: Wie die Landesregierung dagegen vorgehen möchte
Derzeit herrscht in Baden-Württemberg ein starker Lehrermangel. Dadurch muss immer wieder Unterricht ausfallen. Wie die Landesregierung dagegen vorgehen möchte:
Immer wieder fällt Unterricht aus, da Lehrer krank oder schwanger sind oder aus anderen Gründen den Unterricht nicht führen können. In so einem Fall müsste eigentlich eine Vertretungskraft ran und den Schülern trotzdem die Lerninhalte näherbringen. Müsste eigentlich. Es gibt derzeit einen sehr besonderen Grund für das häufige Ausfallen des Unterrichts in Baden-Württemberg. Einen, der sich schon seit einigen Jahren etabliert: Der Lehrermangel.
Lehrermangel in Baden-Württemberg: Eine Modellrechnung
Im Jahr 2019 hat das Kultusministerium den Lehrerbedarf von 2030 berechnet. Susanne Eisenmann sagte damals in einer Pressemitteilung: Der „[…] derzeitige Lehrermangel in Baden-Württemberg leider in Teilen hausgemacht […]. Die Pensionierungswelle ist beispielsweise nicht einfach vom Himmel gefallen. Gleichwohl wurde in der Vergangenheit versäumt, frühzeitig darauf zu reagieren und rechtzeitig zum Beispiel die Ausbildungskapazitäten zu erhöhen. Aus diesen Planungsfehlern müssen wir zwingend lernen, damit wir in Zukunft keinen Mangel wie derzeit vorfinden. Deshalb legen wir nun eine Berechnung für einen Zehn-Jahres-Zeitraum vor“.
Künftige Neubewerberzahlen wurden durch die Zahl der Studienanfänger mithilfe von Bewerberquoten unter der Annahme der durchschnittlichen Studiendauer berechnet. Hierunter wurde noch eine Teilzeitquote und die Quote der Studienabbrecher berücksichtigt. Daraufhin wurde diese Zahl von den zuvor berechneten freien Stellen abgezogen und die Kultusministerkonferenz (KMK) bekam deutschlandweit die Zahl der Stellen, für die ein Bedarf besteht: 23.800 Stellen.
Prognosen zum Lehrermangel in Baden-Württemberg
Jedoch wurde diese Zahl der KMK vom Verband Bildung und Erziehung (VBE) angezweifelt und bei einer erneuten Berechnung wurden 158.700 Bedarfsstellen errechnet. Beide Verbände berechneten hier bereits die Zahlen zum Jahr 2035. Die Grundlage für diese Aufstellungen sind realistische Planung, damit dem Lehrkräftemangel entgegengewirkt werden kann.
Der Lehrermangel ist am deutlichsten in der beruflichen Bildung, der Grundschule und vereinzelt an Gymnasien spürbar. Hier sagt die Erziehungswissenschaftlerin Felicitas Thiel der Zeitung „Die ZEIT“, dass es sich um eine „Notsituation“ handle, denn „die Lage ist dramatisch, das zeigen die Zahlen aus fast allen Bundesländern – immer wieder fällt Unterricht aus, weil Lehrkräfte fehlen“. Laut der Prognose gibt es im Jahr 2030 ein Lehrkräftedefizit von 2.180 Lehrkräften (Zahlen des KMK). Jedoch sind in dieser Prognose nicht das Corona-Aufholprogramm der deutschen Schüler und auch nicht die geflüchteten Kinder aus der Ukraine einberechnet worden. Bei Beachtung dieser Zahlen wird sich ein sehr viel größeres Defizit herausstellen, als bisher angenommen wird.
Lehrermangel in Baden-Württemberg: Lösungen der Landesregierung
Im Juni 2022 schreiben der Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Kultusministerin Theresa Schopper (beide Grüne) einen Brandbrief an Lehrkräfte. In diesem Brandbrief fordern sie Lehrer zu freiwilliger Mehrarbeit auf. Dabei appellieren sie an Teilzeitlehrkräften, Lehrern in Elternzeit, Lehrern vor dem Eintritt in den Ruhestand und bereits pensionierten Lehrern mehr zu unterrichten beziehungsweise den Ruhestand hinauszuschieben. Dieser Brief wurde von Lehrverbänden und der Opposition stark kritisiert, da die Lehrkräfte bereits durch die Inklusion, den Ausbau der Ganztagsschulen und die Stundentafel ohne die Beachtung der Anzahl an Lehrenden einer starken Belastung ausgesetzt sind. Nicht zuletzt sind auch durch die Pandemie und die Aufnahme von ukrainischen Flüchtlingen in die Klassenräume die Lehrer am Rand der Erschöpfung (https://www.heidelberg24.de/politik-und-wirtschaft/umfrage-fast-alle-lehrkraefte-am-rand-der-erschoepfung-zr-91599965.html).
Schopper sagt in einem Interview dem Mannheimer Morgen, dass sie mehr Studienplätze schaffen, die Teilzeitkräfte aufstocken und einen erleichterten Einstieg im Bereich Sonderpädagogik schaffen möchte. Man versuche vieles, um mehr Lehrkräfte zu bekommen. Ein weiterer Vorschlag kommt von Dirk Lederle, Rektor der Johanniterschule Heitersheim: Es soll mehr finanzielle Anreize für unbeliebte Standorte geben und verlässliche Perspektiven, wo die neue Arbeitsstelle sich denn befinden wird. Edgar Bohn vom Grundschulverband reichen diese Maßnahmen noch nicht, er fordert mehr Unterstützung für Lehrkräfte, zum Beispiel durch pädagogische Assistenzen und/oder einer besseren digitalen Ausstattung.
Lehrermangel in BW: Vertretungslehrkräfte wurden in die Sommerarbeitslosigkeit geschickt
Laut Schopper wäre „die letzte Patrone“, wie sie dem Mannheimer Morgen mitteilt, die Erhöhung des Klassenteilers. Dieser ist der Richtwert, ab dem eine Klasse in zwei Klassen aufgeteilt wird. Er ist seit 2004 als rechnerische Größe definiert und dient als Grundlage für die Lehrerzuweisung. In Baden-Württemberg liegt die Untergrenze für eine Klassengröße derzeit in allen Schularten bei 16 Kindern oder Jugendlichen. In der Grundschule wird eine Obergrenze bei 28 Schülerinnen und Schülern gezogen, in Haupt- oder Realschule sowie im Gymnasium bei 30. Felicitas Thiel sieht keine Gefahr in der Erhöhung des Klassenteilers, da aus Sicht der Unterrichtsforschung die Klassengröße nicht relevant für die Lernergebnisse der Schüler ist.
Ebenso möchte die Grünen-Fraktion zusätzliche Sozialarbeiter und arbeitslose Künstler einstellen. Auch setzen viele Schulen, die den Bedarf an ausgebildeten Lehrkräften nicht abdecken können, auf Quer- und Seiteneinsteiger, sowie Gymnasiallehrer, die sich auf eine Stelle in einer Grundschule bewerben können, wo sie dann eine einjährige berufsbegleitende Qualifizierung erhalten. Besonders der Rückgriff auf Quer- und Seiteneinsteiger ist sehr interessant, da die Landesregierung vor kurzem erst die Vertretungslehrkräfte in die Sommerarbeitslosigkeit entlässt. Grund dafür: Man spart durch diese Maßnahme 15 Millionen Euro ein. Dabei sind jedoch 4.000 Lehrkräfte davon betroffen.
Das Problem mit dem Lehrermangel in Baden-Württemberg
Durch solche harten Maßnahmen, da sich die Vertretungslehrer bis nach den Sommerferien erneut für Stellen bewerben müssen, nur um dasselbe Spiel im nächsten Jahr erneut durchzustehen, sinkt die Attraktivität des Lehrberufs. Ebenfalls verteilen sich in den letzten Jahren immer mehr Aufgaben auf immer weniger Lehrkräfte, sodass die Lehrer dem Arbeitspensum fast nicht mehr standhalten können. Auch ist die Ausbildung zur Lehrkraft mit vielen Mühen und Anstrengungen verbunden. So dauert ein Lehramtsstudium in der Regel zehn Semester – 6 im Bachelorstudiengang und 4 im Masterstudiengang – hinzukommt noch ein 18-monatiges Referendariat.
In Anbetracht des Lehrermangels, des vielen Unterrichtsausfalls und der Einstellung von nicht fächerbezogen ausgebildeten Quer- und Seiteneinsteiger, obwohl gute ausgebildete Vertretungskräfte zur Verfügung stehen würden, stellt sich die Frage, ob es eine so gute Strategie ist, im Bildungssektor einzusparen. Denn es sind schließlich nicht die Eltern, die Lehrer oder die Minister, die am meisten unter dem Lehrermangel leiden, sondern die Kinder. Durch dieses Problem wird den Kindern nicht ausreichend der erforderliche Lehrstoff beigebracht und bleiben bei diesem Problem auf der Strecke. (rah)