CSU lenkt in Streit um Wahlrechtsreform ein - Grüne: „So dreist muss man erstmal sein“

In der Debatte um die Wahlrechtsreform für den Bundestag lenkten CDU und CSU ein und unterstützen den SPD-Vorschlag. Bei den Oppositionsparteien stößt das auf Kritik.
- Über eine Reform des Wahlrechts wird schon länger debattiert.
- Ziel ist es, die Abgeordnetenzahl des Deutschen Bundestags zu begrenzen.
- Bisher waren sich SPD und Union uneinig, doch die CSU lenkte ein.
Berlin - In der Debatte, ob der Deutsche Bundestag durch eine Wahlrechtsreform kleiner werden soll, lenkte die CSU ein. Michael Frieser, CSU-Justiziar der Unionsfraktion sagte der Rheinischen Post: „Ein denkbarer Kompromiss wäre, sich auf eine Grenze von beispielsweise 690 Abgeordneten zu einigen.“
In der aktuellen Legislaturperiode sitzen 709 Abgeordnete im deutschen Parlament. 111 davon besitzen ein sogenanntes Überhangs- oder Ausgleichsmandat. Diese Sondermandate kommen durch die Verbindung von Direkt- und Verhältniswahl des deutschen Wahlsystems zustande.
Wahlrechtsreform-Debatte: SPD forderte Abgeordnetenzahl auf 690 zu begrenzen
Die SPD hatte zuletzt vorgeschlagen, die Regelgröße des Bundestages bei 598 Abgeordneten zu belassen, die Maximalgröße aber auf 690 festzulegen. Darüber hinaus gehende Überhangmandate sollten nicht mehr berücksichtigt werden.
Das Modell der Sozialdemokraten, wonach ein gewonnenes Direktmandat über der Obergrenze nicht den Einzug in den Bundestag garantiert, hält Frieser jedoch für verfassungswidrig. „Das SPD-Modell der Nichtzuteilung von Wahlkreisen würde das Wahlrecht pervertieren und im klaren Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der Verfassung stehen", sagte Frieser.
Gemeinsam mit dem anderen Justiziar der Unionsfraktion, Ansgar Heveling (CDU), sei er der Ansicht, dass das Unionsmodell das Wahlrecht weitaus weniger verändern würde, so Frieser. „Wir wollen alle Sitze jenseits einer Grenze anteilig auf die Parteien verteilen und von deren Sitzzahl wieder abziehen. Das ist fair, ohne grundsätzliche Eingriffe ins Wahlrecht vorzunehmen und wäre noch pünktlich vor der Bundestagswahl möglich", sagte Frieser.
Grüne: CSU-Vorstoß zur Wahlrechtsreform ist „dreist“
Britta Haßelmann, parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Funktion, kritisierte die Idee, den Bundestag auf eine Abgeordnetenzahl von 690 zu begrenzen: „Das ist kein ernstzunehmender Vorschlag für eine Wahlrechtsreform. Er ist nicht verfassungsgemäß und würde zu erheblichen Verzerrungen des Zweitstimmergebnis einer Bundestagswahl führen.“
Video: Erst- und Zweitstimme - Wie funktioniert die Bundestagswahl?
Haßelmann warf den Christsozialen vor, eigennützig zu denken. „Erst blockiert die CSU monatelang jede Wahlrechtsreform, um dann einen Vorschlag zu machen, bei dem sie der Profiteur eines solchen Vorschlags wäre", sagte sie. „So dreist muss man erstmal sein.“
Der parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Marco Buschmann, nimmt den Vorschlag ebenfalls nicht ernst. „Solange kein konkreter Entwurf auf dem Tisch liegt, halte ich das für eine bloße rhetorische Verschleierungstaktik“, sagte er. „Immerhin hat die CSU bislang jede faire Lösung zur Vermeidung eines XXL-Bundestags blockiert.“ Auf Twitter forderte Buschmann eine Einigung noch vor der Sommerpause.
Parteien seit Monaten uneinig über Wahlrechtsreform
Die Parteien ringen seit Monaten um eine Lösung im Streit um die Wahlrechtsreform. Ziel ist es, zu verhindern, dass der Bundestag nach der nächsten Wahl noch weiter wächst. Die Vielzahl der Sitze kommt durch die Überhangmandate zustande, die Parteien bekommen, wenn sie mehr Direktmandate erringen - und den Ausgleichsmandaten, die die anderen Parteien bekommen.
In der CSU und Teilen der CDU wird der Vorschlag vertreten, die Maximalgröße auf 598 Mandate festzuschreiben. Weil auf Überhang- und Ausgleichsmandate dabei verzichtet wird, würden jene Parteien profitieren, die viele Direktmandate erringen - das sind derzeit insbesondere die beiden Unionsparteien. Die Oppositionsparteien FDP, Linke und Grüne hatten vorgeschlagen, die Zahl der Wahlkreise zu verringern.
Marco Buschmann (FDP) und Britta Haßelmann (Grüne) äußerten sich auch zum Fall Philipp Amthor. Der CDU-Politiker kämpft mit heftigen Lobbyismus-Vorwürfen. Die Große Koalition beschäftigt währenddessen vor allem die Corona-Pandemie*. Kanzlerin Angela Merkel sprach in einem EU-Gipfel über den Umgang mit der Krise mit ihren europäischen Kollegen.
afp/lb
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